Unter Yaknomaden in Bhutan

Die unwegsamen Bergtäler Ostbhutans sind die Heimat der letzten halbnomadischen Yak- und Schafzüchter, genannt Brokpa. Ihr Name bedeutet Nomade oder Hirte. In ihrer Sprache und Kleidung unterscheiden sie sich vollkommen von anderen Einwohnern Bhutans. Die Brokpa sind tibetischer Abstammung und leben in einer Höhe von bis zu 3000 Metern in den abgelegenen Tälern von Sakteng und Merak. Frauen wie Männer tragen Filzmützen aus Yakhaaren mit fünf Zipfeln, die in dieser regnerischen und stürmischen Gegend als Regenrinnen dienen. Der Regen rinnt über die Zipfel bequem ab und wird so vom Gesicht weggeleitet. Schmuck findet man fast nur bei Frauen. Er besteht aus schwerem Silber und Türkisen. Frauen wie Männer tragen eingefaßte Türkise als Ohrringe.
 

Die Brokpa sind Halbnomaden. Im Sommer leben sie hoch oben in den Bergtälern in Häusern, die aus Stein und Lehm gebaut sind. Der Haupteingang eines jeden Brokpa-Steinhauses weist nach Osten. Diese Himmelsrichtung hat große Bedeutung für Gesundheit und Wohlstand, denn aus Osten kommen Licht und Lebensenergie. Die einfachen Schindeldächer werden durch schwere Steine befestigt. Den Winter verbringen sie in tiefer gelegenen Regionen in Zelten. Der Vegetationszyklus und die eisige Kälte während der Wintermonate machen die Wanderungsbewegungen der Brokpa notwendig.

Das Leben der Brokpa


Der Yak dient den Brokpa zum Transportieren von schweren und sperrigen Gütern, für die Übersiedlung vom Sommer- ins Winterlager oder als Lasttier in einer Handelskarawane in Richtung Tibet oder Indien. Er ist unempfindlich gegen Schnee und Kälte und hat keine Mühe, hohe Pässe zu überqueren, denn das ist seine eigentliche Stärke. Die waldbedeckten Südhänge des Himalaja liefern den Brokpa genügend Brennholz, so daß auf das Sammeln von Yakdung meist verzichtet werden kann.

Die Jagd ist eine wichtige Ergänzung zur Nomadenwirtschaft. In den Bergen Ostbhutans gibt es genug Wild, das eine perfekte Bereicherung des kargen Speiseplans darstellt. Die Felle der erlegten Wildtiere dienen vor allem Männern und Kindern als Bekleidung. Meistens werden sie zu einfachen Westen verarbeitet. Die Jagd wird dadurch erschwert, daß den Brokpamännern nur veraltete Gewehre zur Verfügung stehen. Ohne ihre Jagdhunde hätten sie keine Chance, eine Beute zu erlegen. Vor allem bei der Jagd auf kleinere Tiere sind die Hunde unentbehrlich.

Die Ehe als Form des Zusammenlebens ist bei den Brokpa keine heilige -Institution, sondern wird von wirtschaftlichen Beweggründen bestimmt. Die Polyandrie, bei der mehrere Brüder eine Frau teilen und mit ihr im selben Haushalt leben, wird der Monogamie vorgezogen. Aber auch die Polygynie, bei der mehrere Schwestern mit einem Mann verheiratet sind, wird akzeptiert. Dies kommt meist nur in Familien vor, in denen es nur Töchter und keine Söhne gibt. Der Hauptgrund für die Polyandrie liegt im Interesse an Gemeingut und Gemeinland der Familie. Diese sollen durch eine Heirat nicht geteilt werden, denn dadurch wäre das wirtschaftliche Überleben des Familienclans nicht mehr gesichert. Bevorzugt wird die Polyandrie, denn in einem Haushalt mit vielen Männern müssen im Bedarfsfall, wie zum Beispiel für die Buchweizenernte, keine zusätzlichen Arbeitskräfte angeheuert werden. Während die Frauen ihren traditionellen Tätigkeiten in Haushalt, Kindererziehung, Weberei und bei der Feldarbeit nachkommen, können ihre Männer die übrigen Arbeitsbereiche teilen. Einer übernimmt die Aufsicht über die Herde, der andere kümmert sich um den Handel, und der dritte versucht, den Speiseplan der Familie durch sein Jagdglück aufzuwerten.

Heiratsarrangements werden von den Eltern der Braut und des Bräutigams getroffen. Dabei bestimmt der Dorfastrologe den Tag des Besuchs der Eltern der Söhne bei den Eltern der Braut. Wird dabei der in Bambusbehältern mitgebrachte Arrak-Schnaps von den Brauteltern angenommen, gilt der Ehekontrakt als besiegelt. Die zu Verheiratenden werden bei diesem ersten Schritt nicht mit einbezogen, sondern erst beim zweiten Treffen sind die zukünftigen Bräutigame und die Braut anwesend. Es wird zusammen getrunken und getanzt. Weigert sich die Braut, die Männer anzunehmen, so kann die Familie durch Offerierung der doppelten Menge an Arrak die Vereinbarung wieder lösen. Andernfalls gilt der Vertrag, und ein Heiratsdatum wird gemeinsam -fixiert. Von der Braut wird am Hochzeitstag erwartet, daß sie traurig das Haus ihrer Eltern verläßt und tränenüberströmt in das Haus ihrer Ehemänner zieht. Für jede Braut muß ein sogenannter Brautpreis gezahlt werden. Die Höhe wird durch den Wohlstand ihrer Familie bestimmt. Im Durchschnitt entspricht der Brautpreis zwei bis drei ausgewachsenen Yaks. Aber nicht alle Hochzeiten bei den Brokpa werden durch die Eltern arrangiert. Bei den jüngeren Brokpa sind durchaus auch Liebesheiraten üblich. Das heiratsfähige Alter liegt traditionell zwischen 15 und 25 Jahren.

Brokpamänner und -frauen haben den gleichen sozialen Status, und auch ihre Verantwortung für die Familie ist äquivalent. Da die Aufgabe der Männer das Hüten der Yaks auf höher gelegenen Weiden beinhaltet, werden die meisten öffentlichen Versammlungen von Frauen abgehalten. Brokpafrauen sind auch in allen öffentlichen, politischen sowie religiösen Belangen und Fragen den Männern gegenüber gleichberechtigt.
 

Traditionsgemäß findet kein soziales Ereignis ohne den Genuß von Arrak statt. Der Alkoholkonsum der Brokpa ist im Vergleich zu anderen nomadisierenden Stämmen dementsprechend hoch. Manche Brokpa behaupten auch, sie könnten viel besser arbeiten, wenn sie ein paar Schlucke Arrak zu sich genommen haben. Jugendliche Brokpa veranstalten eigene Trinkfeste, welche die ganze Nacht dauern können. Dieses Verhalten soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Brokpa ein friedvolles Nomadenleben führen.
 

Bis heute zählen die Brokpa zu den am wenigsten erforschten Nomaden Zentralasiens. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, bestehen keinerlei Kontakte der Brokpa zur sogenannten Zivilisation. Ihren alten Traditionen treu geblieben, führen die Brokpa bis zum heutigen Tag noch das Leben ihrer Vorväter.